Sonntag, 14. Juni 2020

Episode 4 - Linz und zurück - Die frühen 1920er-Jahre (Teil 1)

"Zu fragwürdigen Tänzen gab es keine Erlaubnis..."


Tabakfabrik Linz um 1930 (Foto: Archiv der Stadt Linz)

Nach einigen Wochen sagte mein Vater, er will mich in die Zigarrenfabrik bringen, daß ich etwas verdiene. Ich wurde nach ärztlicher Untersuchung gleich aufgenommen. So mußte ich morgens früh erst die Hausarbeit machen, dann in die Fabrik und abends wieder die Hausarbeit. Ich war sehr unglücklich, ich bin ja vorher schon in die Marianische Kongregation aufgenommen worden, da hatte ich so viele gute, liebe Freundinnen, ich konnte dies beinahe nicht verkraften, trug mich sogar mit Selbstmordgedanken rum.

In meiner Verzweiflung schrieb ich dem Priester einen Brief. Als Vater erfuhr, ich wolle nicht bleiben, war er sehr wütend. Er sagte, er werde mich schon zwingen, er beanspruche die Vormundschaft über mich. Der jetzige Vormund war der Mann von der Großmutter. Meine Mutter war ein uneheliches Kind, der Vormund war nicht der Vater von der Mutter. Er hat sich auch nie gekümmert um die Vormundschaft, obwohl er mich dann als Kind sehr gern gehabt hat. Großmutter hat mir oft erzählt, daß er mich dann lieber gehabt hat als seine eigene Tochter. 

Wir sind noch Jahre mitsammen aufgewachsen, die Tochter von Großvater war um 6-7 Jahre älter als ich. Da war ich noch ein Kind, hat er Großmutter verlassen, Scheidungen gab es damals nicht. Er ist keiner Arbeit nach gegangen, es gab nur Not, so ist er fort. Er starb in den Dreissigerjahren im Altersheim, ich hab ihn seit seinem Fortgang nicht mehr gesehen. So ist es mir heute noch ein Rätsel: Als der Bescheid an ihn kam, ob er die Vormundschaft abgibt, sagte er: "Nein, ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen."

Vater ging zum Jugendgericht, so wurden wir vorgeladen. Mein Vater ein empörter, zorniger Mann, ich ein sechzehnjähriges Mädchen, welche noch nie auf einer Amtsstelle war. Vater mußte allein hinein, dann ich. Ich weiß nicht mehr all die Fragen, welche an mich gestellt wurden. Ich weiß nur, daß ich geantwortet hatte: "Mein Vater hat sich nie um mich gekümmert, meine Mutter mußt drei Jahre lang den letzten Kreuzer hergeben für mich. Ich will wieder heim." Das war alles was ich sagte. Was das Jugendgericht zu Vater sagte, weiß ich nicht. Jedenfalls gingen wir mitsammen weg, er zornentbrannt, ich sehe die Straße noch, wo wir gingen. Heute denke ich wird dies alles schon verbaut sein. Es war entlang ein kleiner Graben. Vater sagte: "Mir wär wenn i die do in den Graben einihauert." Er hat mir keinen schönen Namen gegeben. Als wir heimkamen, schimpfte er weiter. Meine kranke Stiefmutter hat geweint, sie war gut zu mir, sie hatte mich verstanden. 

Anderen Tags um fünf Uhr früh half mir ein Mädchen, die im gleichen Haus wohnte, meinen Kasten auf den Bahnhof nach Linz zu fahren, mit so einem Zweiradler. Ich hatte mir einiges gekauft, da ich ja gar nicht viel hatte, z.B. Schuhe, Schürze, noch ein paar Sachen. Die nahm mir Vater ab, für Kost, sogar vom Schuhputzzeug hat er geredet. Vater sagte auch, ich darf ihm nie mehr unter die Augen kommen. So fuhr ich wieder zu Großmutter. 

Großmutter war glücklich, daß ich wieder da war. Nach einigen Tagen bekam ich Scharlach. Der Arzt sagte, ich muß unbedingt 14 Tage im Bett bleiben. Nach 14 Tagen kam die Schwester von der Bäurin, die hatten im gleichen Dorf einen Bauernhof. Die sagte, ich soll einstweilen zu ihnen kommen, dann zu Lichtmeß wieder dorthin wo ich war, zu ihrer Schwester. Ich soll mich bei ihnen einstweilen erholen. Ich sah sehr schlecht aus, die Haare sind mir so viele ausgegangen, da sagte ich freudig zu. Dort fühlte ich mich wieder so richtig daheim. Das ging so ein Jahr, ich fühlte mich in meinem Bekanntenkreis so richtig wohl. 

In der Kongregation fühlte ich mich sehr glücklich, es war wie eine große Familie. Es war Sodalen (Mitglieder der Marianischen Kongregation, Anm.) Pflicht, monatlich zur Beichte zu gehn. Tanzunterhaltungen durften wir nur mit Genehmigung von Hr. Präses besuchen. Zu fragwürdigen Tänzen gab es keine Erlaubnis. Für die Jugend von heute ist dies unverständlich, lächerlich und grotesk. Wir waren glücklich. Ab und zu widersetzte sich eine, die wurde ausgeschlossen aus der Gemeinschaft. Es hat uns nicht geschadet, wir lernten entsagen, Opfer bringen, den eigenen Willen bekämpfen, folgen. Dies alles sind Fremdwörter in unserer Zeit, man lacht nur darüber, oder man findet dies ist nicht normal.

Doch das wichtigste, wir waren zufrieden und glücklich. Diese Jahre möchte ich keinesfalls missen. Wie gerne denke ich oft nachts, wenn ich wach im Bett liege, an diese glückliche Zeit zurück. Ich wünsche, die heutige Jugend könnte auch so ein Glück und inneren Frieden genießen. 

Nach zwei Jahren wechselte ich wegen unglücklicher Liebe den Posten, ich war damals 17 Jahre, er auch...


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