Samstag, 27. Juni 2020

Episode 6 - Turbulente Zeiten - ca. 1925 bis 1934

"Da glaubte ich, ich bin so schon reich..."


Steyregg 1930 (Foto: Ansichtskartensammlung des Stiftes St. Florian)


So vergingen ein paar Jahre, ich lernte einige Burschen kennen. Ich erzählte ihr (der Freundin, Anm.) immer gleich. Bei ihr hieß es immer: "Nein du, der ist nichts für dich." Dann lernte ich den Bruder von meinem Mann kennen, der machte mir auch den Hof. Er war sehr galant. Er machte, wenn ihm eine gefiel, einer jeden einen Liebesantrag. Meine Freundin sagte: "Nein, der ist doch überhaupt kein Mann für dich, der ist ja nur ein Mädchenjäger, da rennst ins Unglück." Ich war damals unglücklich, doch ich ließ mir's gefallen.

Bald darauf kam mein Mann von St. Oswald heraus. Beim Arbeiterball lernten wir uns flüchtig kennen, das heißt, sein Bruder hat mich vorgestellt. Ich dachte mir nichts dabei, er war das Gegenteil von seinem Bruder, ruhig und bescheiden. Franz (Höller, Anm.) ging dann freiwillig zum Militär, mein Mann kam auf den Posten von seinem Bruder. Wir sahen uns öfters, da die Entfernung nicht weit war. Er redete mit unserem Kutscher, was mit mir los ist. So trafen wir uns zufällig - ich weiß nicht, oder hat er's gewollt.

Wir redeten halt öfters, so ging dies einige Zeit. Hals über Kopf verliebt war ich wirklich nicht. Als ich zu meiner Freundin davon redete, sagte sie: "Du, der ist der Richtige, wirst sehn, mit dem wirst du glücklich!" So gingen wir 2 Jahre mitsammen, die Zeiten waren damals sehr schlecht.

Als Bauernknecht konnten wir nicht heiraten, wir hatten ja kein Geld, er nicht und ich nicht. Ich hatte mir zur Zeit, als ich beim Doktor war, einen Kleiderkasten machen lassen. Dann kaufte ich mir im Laufe der Zeit für Betten 2 Überzüge. Meine Freundin hat sie mir genäht. Da glaubte ich, ich bin so schon reich, doch vom Heiraten konnte keine Rede sein.

Mein Mann war beim Burschenverein, und ich bei der Kongregation. So gingen die beiden Präses zu dem Bauer von meinem Mann, der war Landesrat, und redeten mit ihm, ob er nicht die Möglichkeit hätte, ihn wo unterzubringen, so kann es nicht weitergehen. Mayrhofer versprach es. 

Wir hatten damals von diesem Gespräch nichts gewußt. Nach kurzer Zeit sagte sein Arbeitgeber zu ihm: "Peter, du willst heiraten, ich sehe es ein, bist schon 30 Jahre alt. Du kannst vorläufig im Lagerhaus Mauthausen als Hilfsarbeiter anfangen, bis ich was ständigeres hab für dich. Wohnen könnt ihr im Stöckl."  Dies gehörte auch Mayrhofer. Es war nur ein Raum und der nicht groß. So war die erste Basis geschaffen.

So fuhren wir zum Schwiegervater und erzählten ihm von unseren Plänen. Das Notwendigste mußten wir doch haben. Vater, d.h. Schwiegervater, nahm von seiner Kasse 5000 S auf, da bekamen wir einen Tisch, 2 Sesseln, 2 Betten, ein Speiskastl, eine Kredenz und einen Ofen, den billigsten, so etwas sieht man heute nicht mehr.

Von meiner Großmutter hab ich einen Email-Liter-Häfen bekommen. Mein Vater ist auch samt Familie zur Hochzeit gekommen, dieser hat mir eine Etagere gebracht. Kongregationistinnen sind auch gekommen, da war eine "der Laufbursch vom Himmel", die kam mit einem Buckelkorb voll Sachen herein, mit allen Sorten Lebensmitteln, eine Kaffeemühle und eine Mohnmühle. Herr Pfarrer mit den zwei Präses, Doktorfamilie, Landesrat Mayrhofer waren auch hier.

Die Präses hatten sich's ausgenommen, es darf nicht getanzt werden. Wir waren herunten in dem Raum, ober uns war eine Tanzveranstaltung. Von den Sodalinen ging und durfte niemand hinauf. Schwager Franz ist schon hinauf gegangen. 

So ging der schöne Hochzeitstag zu Ende. Es ist nur erwähnt, damit ihr seht, wie damals die Eintstellung war. Es hieß, auf dem Tanzboden bahnen sich gegen das 6. Gebot die meisten Sünden an. Es hieß immer nur, meidet den Tanzboden. Was sagt die heutige Jugend dazu? (Blödsinn) 

So verging ein Jahr, im Oktober heirateten wir, im August kam das erste Kind zur Welt. Meine Freude war nicht sehr groß. Mein Mann wurde arbeitslos, ich war beim Doktor und machte immer noch die Arbeit, so weit es ging. Meine Freundin freute sich mehr auf das Kind als ich. Sie sagte immer: "Wirst sehen, es wir ein Büblein, und dieses Kind wird ein Priester." Ich schenkte diesem Gerede nicht viel Glauben, ich hatte viele Sorgen, Platzmangel, Geldnot, Zeitnot.

Nach ungefähr einem halben Jahr brachte Landesrat Mayrhofer meinen Mann bei Straßenarbeiten unter. Er mußte aber täglich mit dem Rad weit fahren. Ich lebte in ständiger Angst, wenn er früh morgens weg fuhr, es passiert ihm etwas. Die Arbeitslosigkeit und die Not waren so groß, so wuchs auch der Neid und Hass. Ein jeder wußte, daß er nur durch Protektion die Arbeit bekam. Auch drohten sie ihm einmal, sie werden ihn zusammenschlagen. So hatte ich weder Rast noch Ruhe. 

Im Jahre 1932 hatte ihm Landesrat Mayrhofer zur Anstellung eines Straßenwärters geholfen, die Strecke von der Schlagerbrücke bis Plesching (in Steyregg, Anm.). Dies war für uns eine große Freude. Wir hatten zwar noch keine Wohnung, er schlief eine ganze Woche bei Frau Mühlberger, doch bald darauf übersiedelten wir zum Zöchbauer (Minichberger). Auf der Gemeinde machte man meinen Mann gleich aufmerksam, daß es uns nicht gefallen wird: "Die Wohnung steht oft leer, zur Not wird es schon gehen, vielleicht ergibt sich bald etwas anders." 

Ich war damals hochschwanger. Im Januar übersiedelten wir, am 30. April kam die Tochter Anni zur Welt. Wir hatten mehr Platz, zwar nicht übertrieben, zwei kleine Räume, doch in der Umgebung fühlte ich mich nie wohl. Ich fühlte, die Menschen waren uns anfangs nicht gut gesinnt, es war viel Neid dabei. Ein jeder wußte von der Protektion. Ich hatte nur meinen Mann und zwei kleine Kinder. Mit Fr. Mühlberger, wo mein Mann früher schlief, wurde ich bald bekannt.

Mein Mann  hatte anfangs Gehalt 140 S, 25 S Miete. Es war Schmalhans Küchenmeister, 10 S für jedes Kind gab es Kinderbeihilfe. Natürlich ist es kein Vergleich zu den heutigen Preisen, doch immerhin war es eine schwere Zeit. Doch wir waren zufrieden und glücklich, denn es ging keinem Arbeiter besser, es war die Staatsanstellung schon ein großer Vorteil. 

Das Klima in dieser Wohnung war tatsächlich ungut. Die Tochter von den Hausherrnleuten fuhr in der Woche einigemale mit Gemüse am Markt, um 4 Uhr früh kam sie schon herauf und schrie und rumorte herum, sodaß die Kinder aufwachten. In verschiedenen Dingen waren sie unausstehlich. Friedl, der Kleine, fürchtete sie. Es gibt leider Menschen, mit denen kann man nicht freundschaftlich leben.

Es wurde beim Geiblinger eine Wohnung frei, um die bewarben wir uns. Der Platz war nicht mehr, vielleicht die Räume sogar kleiner, doch ich fühlte mich viel wohler. Die Leute waren sehr nett, die alte Frau Geiblinger hatte ich sehr gern, sie gab den Kleinen oft eine Kleinigkeit. Auch Frau Pucher, die war damals noch nicht verheiratet, die brachte uns öfters die Zuckerldosen zum Ausputzen, ich konnte doch nie den Kindern Süßigkeiten kaufen. Damals waren ja die Zuckerl in großen Dosen, und sie wurden nach Wunsch herausgewogen. 

Geiblinger Franz hatte neben unserer Wohnung die Backstube, der war auch sehr gut zu uns. Samstag gab er den Kindern oft ein Gebäck, da war ich so glücklich. Das Geld war halt so knapp, um den 20. bis 22. hatte ich oft keinen Schilling mehr. Dann ging ich zum Geiblinger Franz und bat ihn um 20 S. Er lieh es mir von Herzen gern, er sagte öfters: "Frau Höller, sie können ja mehr haben, sagen sie es nur." Ich lieh mir nie mehr aus. Am ersten wär's mir ja wieder abgegangen. Ich war dort sehr glücklich. 

Im Jahre 1934 kam das dritte Kind zur Welt (Rosie), am 12. Februar, da war die Revolte. Es gab große Aufregung, es gab auch Tote in Linz...



Anmerkungen des Verfassers:

Der Rieberger:
Besagter Landesrat Josef Mayrhofer war Besitzer des Riedberger-Gutes in Ried in der Riedmark (vlg. "Riedberger" oder "Rieberger"). In der Nähe seines Hofes wurde Annas Mutter tot aufgefunden (siehe Episode 3: https://annasgeschichte.blogspot.com/2020/06/episode-3-fruhsommer-1920.html).

Gestorben ist er im November 1939 an den Folgen eines Unfalls mit einem Stier auf seinem Hof. Wie mir seine Nachkommen im Zuge meiner Recherchen berichteten, waren die Nationalsozialisten noch an seinem Sterbebett, und hätten ihn, sofern er transportfähig gewesen wäre, inhaftiert und in das Konzentrationslager abgeführt.

Zum Wirken des Landesrates siehe auch folgenden Wikipedia-Eintrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Mayrhofer

Etagere: 

Laufbursch vom Himmel: 
Das war wohl die damalige Form des heute noch allseits beliebten Geschenkkorbes.

Schmalhans Küchenmeister:

Februarkämpfe 1934:


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Was bisher geschah: