"Die Zeit, wenn sie auch kurz ist, wenn man mit einem lieben Menschen beisammen sein kann, bedeutet mir mehr als etwas Materielles, wenn es nicht aus Liebe kommt!"
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Anna (Foto: privat) |
Die Kinder, glaube ich, fühlten sich deswegen gar nicht so unglücklich, sie kannten ja nichts anderes. Greti hat Vater ein paar Jahre vor seinem Tod und mir zum 80. Geburtstag in rührender Weise gedankt und erwähnt, daß sie sich reich gefühlt haben und glücklich waren. Solche Zeilen machen mich unendlich glücklich. Ich habe die Sicherheit und die Beweise, daß ein jedes Kind mir zugetan ist und mich liebt. Sie alle fühlten sich wohl in unserer an Materiellem armen, aber an Frieden und Wohlgeborgenheit reichen Familie. Ganz besonders war Gottes Gnade und Segen bei uns spürbar. Ich kann heute nicht genug danken für diesen Segen. Ich weiß, wenn ihr diese Zeilen lesen werdet, so werdet ihr darüber lächeln.
Leider hat der Wohlstand den Großteil der Menschen den Verstand so vernebelt, daß er denkt, Segen und Gnade gehört der Vergangenheit an, sowie Glaube und Vertrauen. Wieso so viele Selbstmorde, so viele Ehescheidungen?
Ich denke oft, wie schön und beglückend es doch ist, auf die Vergangenheit zurück zu schauen, mit dem Gedanken, ich habe mich immer bemüht, meine Pflicht gegenüber meiner Familie und dem Nächsten zu erfüllen. Obwohl es auch in meinem Leben viele Schwächen gab - Gott weiß, wir sind ja alle fehlerhafte Menschen - aber das Bemühen und der gute Wille war immer da. Ich denke, hier in diesem Dasein gibt es keine Vollkommenheit. Man muß sich oft ein ganzes Leben lang bemühen, und immer wieder anfangen, besser zu werden. Daß diese Grundgedanken richtig sind, beweist, daß ich mit Freude auf meine Kinder zurückschauen kann. Dies beruhigt mich sehr, sie sind bis heute alle auf dem richtigen Weg. Dafür kann ich Gott nicht genug danken. Sie sind auch meines Gebetes sicher. Ich bin mir ganz sicher, daß Gott das Gebet einer Mutter, wenn sie ein großes Vertrauen hat, nicht unerhört läßt, wenn wir es auch oft nicht verstehen oder begreifen können.
Kommt es anders als wir denken, so ist dies Gottes Wille, dann gibt er auch die Kraft dazu. Ich glaube, niemand von unserer Generation wird verstehen können, wenn die längst vergangene Zeit "die gute alte Zeit" genannt wird. Eines ist sicher, wir waren mit allem zufrieden, man hat sich über jede Kleinigkeit gefreut. Es gab sehr wenig Lustbarkeiten. Dafür kannten wir Arbeit von früh morgens bis spät abends. Ich kann mich nicht erinnern an Neid oder Hass. Ich war immer so glücklich in meinem Freundinnenkreis, es waren die Sodalinen (Mitglieder der Marianischen Kongregation, Anm.). Es tut mir die Jugend leid, man sieht sie sind nicht glücklich, obwohl sie Freizeit, Vergnügen, Geld, ja alles haben. Leider der wahre Herzensfriede fehlt, die tiefe Religion.
Auch kann ich nicht vergessen, in den Jahren 1950 bis 1954 hab ich das ganze Holz von der Au heimgebracht. Peter war noch ziemlich klein, einigemal ging er mit, sonst ersuchte ich die Lieb Nanni, die blieb bei ihm. In der Früh, wenn Vater in der Arbeit war und die Kinder außer Haus, fuhr ich mit der alten Frau Stranzky, später dann mit Frau Ganglberger in die Au und suchten Dürrholz. Ich weiß nicht, ob man heute noch eine "Radltrag" kennt. Man hatte das ganze Gewicht an beiden Händen. Es war schwere Arbeit, zirka um 11 Uhr kamen wir heim. Dann kochen, nachmittags wurde das Holz zusammengehackt und geschlichtet. So ging es den ganzen Sommer. Im Jahre 1954 hörte ich auf, im Jahre 1955 fing mein Mann zu kränkeln an.
Da kam er zum erstenmal ins Krankenhaus, da begann eine bedrückende Zeit. Er war sehr häufig krank, halbe Nächte mußte er husten. Er schlief ein wegen Überanstrengung. Ich konnte aber nicht schlafen, da ich mir meine Gedanken machte. Nach geraumer Zeit bekam er wieder so einen Hustenanfall, so vergingen oft die Nächte.
Anni hörte zufällig einmal im Gasthaus von einem Mann von einem Mittel gegen hartnäckigen Husten: Königskerzen-Tee und ein paar Tropfen Nelkenöl. Dies taten wir, und der Husten besserte sich zusehends, beinahe ganz.
Den Winter fürchteten wir, denn wenn es eisig war, mußte Vater schon um 3 bis 4 Uhr aufstehen, Straßen streuen. Dies trug auch viel bei zu seiner Krankheit. Er war dann viel im Krankenstand, so riet man ihm, in Pension zu gehen. Es fiel ihm schwer. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. So gab es nur diese eine Lösung: Pension.
Ein paar ruhige Jahre erlebten wir noch in friedlichem Beisammensein, bis abermals die Krankheit sich breitmachte. Vater war viel im Krankenhaus, ich viel allein.
Ich glaube ein jeder dachte - aber keiner sprach es aus - daß Vater ein Krebsleiden hatte. Auch er selbst sprach nie davon. Jeden zweiten Tag besuchte ich ihn, doch niemand ahnte, mit welchen Gefühlen ich ins Krankenhaus ging. Ich spürte jedesmal, daß es schlechter wurde. So kam der fünfte Oktober. Friedl, Anni, die Schwester und ich waren bei ihm, es war ein Freitag. Er redete nicht mehr viel. Als um drei vom Dom die Glocken läuteten, sagte er mit lauter Stimme, wir sollen beten. Wir waren alle betroffen. Ich blieb die letzte Nacht bei ihm, um 9 Uhr vormittags starb er. Er starb in Frieden.
So ging mein Leben weiter, im gewissen Sinne allein. Doch ich sage immer wieder, ich bin glücklich und zufrieden. Ich danke immer wieder Gott, denn ich hab alle meine Kinder in der Nähe. Sie sind alle gut zu mir, sowie auch alle Enkelkinder. So viele alleinstehende Mütter können dies nicht sagen. Ich finde hierin liegt ein großer Segen, wofür ich Zeit meines Lebens dankbar bin. Ich habe auch großes Vertrauen, daß keines von uns verloren geht. Dies sei mein größter Wunsch.
Jetzt ist die Zeit da, wo ich viel von Erinnerungen lebe. Da hab ich oft so ein beglückendes Gefühl. Ich habe so viele gute, ehrliche, liebe Freunde gehabt, daß ich mit Freude an diese Zeit zurück denke.
Nicht materielle Güter waren zeitlebens mein eigen, das Geistige macht viel glücklicher.
Die Zeit, wenn sie auch kurz ist, wenn man mit einem lieben Menschen beisammen sein kann, bedeutet mir mehr als etwas Materielles, wenn es nicht aus Liebe kommt!
Heute, wo es in meinem Leben Abend wird, da denke ich oft: "Herr, ich danke Dir für dieses mein Lebe!" Ich habe so viel zu danken! Ich habe fünf Kinder, ein jedes geht, so hoffe ich zuversichtlich, den richtigen Weg, was leider nicht alle Eltern sagen können. Dies gibt mir ein gutes Gefühl, denn ich glaube, an meinen Kindern recht gehandelt zu haben, obwohl sie in Sparsamkeit und Armut aufgewachsen sind.
Ich bin mir bewußt, daß ich Grund habe, jeden Tag Gott zu danken!
Hiermit enden die nieder geschriebenen Erinnerungen meiner Großmutter. Nach deren Aufzeichnung lebte sie noch 5 Jahre und verstarb friedlich im Jahre 1991.
In ewiger Liebe und Dankbarkeit!
Was zuvor geschah: