Sonntag, 5. Juli 2020

Episode 7 - Düstere Zeiten - 1934 bis 1945

"So kam das Jahr 1938 und mit ihm der Hitler..."


Steyregg nach dem Bombenangriff am 15.12.1944 (Foto: Stadtkommune Steyregg)

1934 kam das dritte Kind zur Welt (Rosie), am 12. Februar. Da war die Revolte, es gab große Aufregung, es gab auch Tote in Linz. Man hörte schießen, es war Ausgangssperre. Die Hebamme traute sich nicht allein nach Hause, so ging mein Mann mit. Ich hatte so große Angst, ob er doch wieder heim kommt. Meine Schwägerin kam diesen Tag auf Besuch, die hatte gerade Posten gewechselt. Derweil hatte ich schon Wehen, so blieb sie dann acht Tage hier. Ich hatte ja niemanden, ich war so froh. Ich fühlte mich recht glücklich unter diesen Menschen. Geiblinger Annerl nähte Anni für Fronleichnam in einer Nacht ein herziges, weißes Kleidchen. Ich hab's bis heute noch in Erinnerung, da waren wir ganz selig.

Im Jahre 1935 kam dann das vierte Kind zur Welt (Greti). Wir hatten ja damals keine andere Möglichkeit, wir wußten nichts von einer Geburtenregelung. Es gab nichts als Enthaltsamkeit, zumindest wir wußten sonst nichts. Wir hatten auch keine Möglichkeit, uns irgendwo Rat zu holen. Ich war damals schon ziemlich ratlos. Nur ein starker Glaube und ein festes Gottvertrauen half mir damals hinweg und ließ mir den Mut nicht sinken.

Der Platz war zu klein, ich mußte zur Geburt den Doktor haben, da die Hebamme nicht zu Hause war. Ich hatte das Gefühl, er war etwas verblüfft über diese Wohnräume zu sechs Personen. Ich glaube, es kann sich dies heute niemand vorstellen.

Auch Geiblinger sahen dies ein, so fanden wir die heutige Wohnung. Um die Menschen dort war mir leid, denn ich mußte bald fühlen, die jetzige Hausfrau war nicht so kinderliebend. Viel größer war ja die Wohnung auch nicht. Drüben konnten die Kinder in den Garten gehn, hier durften sie nicht in den Garten. Obwohl sie selbst Kinder hatte, wenn ein fremdes Kind herein kam, hieß es gleich, wenn sie es sah: "Was tust du da, geh hinaus, wir haben Kinder genug im Haus!" Dies tat mir oft furchtbar weh, so lange ich lebe werde ich so manches nicht vergessen. Als sie schon zur Schule gingen, waren sie viel bei ihren Schulkameraden. 

Gottfried bei den Matschekos, als er dann ins Gymnasium kam, war er die meiste Zeit beim Miesbauer Pauli im alten Schloß, die haben dort gewohnt. Als die vier noch klein waren, ging ich mit allen spazieren, das Kleinste war ja im Kinderwagen. Ich fuhr bei der Trafik vorbei, die alte Trafikantin stand heraußen. Ich mochte sie sehr gerne. Wir plauderten ein wenig, dann sagt sie: "Frau Höller, sie tun mir immer so leid mit den Kindern. Ich geb ihnen was." Sie ging in die Trafik und brachte mir eine Broschüre: "Da, lesen sie ihnen dies durch!" Da waren die empfängnisfreien Tage und wann Enthaltsamkeit geraten wird. Dies befolgten wir. Für diesen Rat waren wir dankbar.

So kam das Jahr 1938 und mit ihm der Hitler. Niemand ahnte, was dies alles bringen wird. Von allen Leuten war eine große Begeisterung, alles jubelte ihm zu. Es gab ja nur Lobeshymnen über ihn. Die große Arbeitslosigkeit fand auf einmal ein Ende. Es wurde ja bald begonnen zum Bau des Göringwerkes (VÖEST). Es gab Familienbeihilfen, Baubeihilfen, wir glaubten, die Not ist auf einmal weg. Dieser Jubel dauerte nicht lange, im Jahr 1939 fingen bald Gerüchte an, es besteht große Kriegsgefahr. 

Als Hitler einmarschierte, war man über so viele erstaunt. Es gab so viele Illegale, Männer, wo man dies nie vermutet hatte. Die tauchten gleich mit der braunen Uniform auf, die waren natürlich gleich in Position. Das erste war, daß ein jeder gleich einen arischen Nachweis erbringen mußte. Am 2. September fing dann der Krieg an, somit auch die Angst. Es kamen so viele Zwangsmaßnahmen. Die Hitlerjugend - mit 10 Jahren mußten Mädchen und Buben zur Hitlerjugend, bei den Mädchen hieß es BDM. Sonntags vormittags hatten sie ihre Aufmärsche und Veranstaltungen, man wollte sie vom Kirchenbesuch entfernen. Bei uns war nur Gottfried dabei, die Mädchen waren noch zu jung. Friedl war ein eifriger Ministrant, somit stand er schon auf der schwarzen Liste. 

Ich wußte, daß unsere ganze Familie nicht gut da stand. Es gab natürlich gleich Lebensmittelkarten und Kleiderkarten, Schuhscheine, für alles, was man brauchte, gab es einen Schein. Bei der Hitlerjugend gab es einmal Mäntel, auch ich ersuchte für Friedl um einen. Er hatte überhaupt keinen, ich bekam leider keinen für ihn. In unserem Haus wohnte eine Familie, die hatten im gleichen Alter einen Sohn, der Vater war ein illegaler Nazi, sie war auch Nazi. Der bekam gleich einen. Um Anzug für die Buben haben wir auch gleichzeitig angesucht. Ich wurde abgelehnt, sie bekam alles, so ging es überall.

In der "Zwaravilla" war oben die Volkswohlfahrt, herunten war ein kleines Nebengebäude, da war die Organisation "Mutter und Kind", so hieß es. Ich war dort sozusagen zur Bedienung, in der Woche einmal kam die Chefin. Die jungen Mütter bekamen dort Babywäsche und für Kleinkinder Kleidung. Da sagte die Chefin mal zu mir: "Frau Höller, sie täten mir leid, ich will sie warnen. Man weiß, zu ihnen kommt öfters dieser Kaplan, er wird beobachtet, er hört Auslandsender und unterhält sich mit der Jugend, kurz, er ist gegen unseren Führer." Auch vor Fr. Elmer hat sie mich gewarnt, die hatte damals zwei kleine Kinder. Der Mann war im Krieg, sie war hysterisch. Die kam auch oft zu mir, wir waren ja sehr gut befreundet, da ja ihr Mann der engste Mitarbeiter meines Mannes war. Dieser war auch Straßenwärter. Die schimpfte immer über Hitler, damals war ja dies ein Verbrechen. Ein unbedachter Satz, und man hätte im Konzentrationslager landen können. Die Frau Elmer hatte es nur den kleinen Kindern zu danken, daß sie von dieser Tragödie bewahrt blieb. 

Im Jahr 1943 mußte auch mein Mann einrücken. Er war nie beim Militär, da er sehbehindert war, schon von Geburt aus. Er kam erst darauf, als er schon zur Schule ging. Früher ging man ja nicht zum Arzt. Daß er einrücken mußte, hatte er dem Straßenmeister M. (Name gekürzt, Anm.) zu verdanken, er mußte auf Befehl einen Straßenwärter freigeben. Mein Mann war ihm von Anfang schon lästig, er ließ es ihn fühlen, wo er nur konnte, denn M. war ein illegaler Nazi und mein Mann religiös und vom Mayrhofer aus angestellt worden. So hatte er von Anfang an keine Chance. Mein Mann kam nicht zum Militär wegen seiner Sehbehinderung, sonder zur Organisation Todt. Sie mußten Gefangene bewachen. 

Zuerst war er in Berlin, dann in München, zuletzt in Zell am See. Es war in dem Sinn sehr gefährlich, da die Städte schwer bombardiert wurden. Er hatte großes Glück. Einmal traf es den Bunker, wo die Mannschaft immer hineinging. Er erreichte ihn nicht mehr, stellte sich schnell in ein Hinterhaus. Gerade damals traf es diesen Bunker und alle anderen waren tot. Mein Mann schrieb oft, er spüre deutlich, daß wir für ihn beten. Wir taten dies auch täglich, ich hatte ein grenzenloses Gottvertrauen. Wenn ich abends im Sommer oft müde von der Arbeit heimkam, so wurde täglich noch gemeinsam gebetet. Ich versprach dies Gott und der Gottesmutter, nur daß Vater wieder heil heimkommt: Ich sagte mir immer, wenn es der Wille Gottes ist, lieber noch ein Kind, obwohl das jüngste (Greti) schon zehn Jahre alt war.

Ich war die einzige mit vier Kindern, die im Sommer zur Arbeit eingesetzt war, obwohl es hieß, die mit Kindern werden nicht herangezogen. Ich habe zum Ortsbauernführer gesagt: "Wiese muß ich mit vier Kindern gehen?" Er gab mir zur Antwort, die Bäurinnen müssen auch neben den Kindern arbeiten, somit gab es keine Debatte mehr.

1943 - 44 kamen dann auch zu uns die Bombenangriffe. Dies war alles so schrecklich, wer dies nicht erlebte, der kann dies alles nicht verstehn. Beinahe täglich gab es Alarm, wenn die Bomber über die Steiermark flogen gab es Voralarm. Dann fingen wir schon an, das Wichtigste zu packen. In 10 Minuten gabs dann Großalarm, da war es höchste Zeit.

In Steyregg fielen sehr viele Bomben, denn unweit vom Hasenberg war die Flakstellung, auf der anderen Seite die VÖEST. Dies waren die Ziele der "Feinde". Auch nachts mußten wir öfters in den Keller. Das Alte Schloß wurde ein Opfer der Bomben. Vollständige Fensterscheiben gab es ganz wenige, auch in unserer Wohnung gab es kein ganzes Fenster mehr.

Im Juli 1944 kamen wir vom Luftschutzkeller heim, da war alles aufgerissen, die Türen aus den Angeln, die Fenster alle kaputt. Es gab auch sehr wenig Glas, die Fenster wurden mit Packpapier oder Pappendeckel zugemacht. Ich schrieb dann meinem Mann, dann bekam er einige Tage Urlaub um zu helfen. 

In diesem jämmerlichen Zustand wurden auch die Schulen geschlossen, denn in Linz wurden auch Schulen bombardiert, es wurden dann Zeitzünder geworfen. Die Züge gingen nicht mehr regelmäßig, da diese nur mehr für das Militär benötigt waren. Es wurde immer unsicherer, und das Volk immer ängstlicher. Die letzte Zeit mußten die Schüler, welche in Linz in die Schule gingen, täglich zu Fuß gehen, wer kein Fahrrad besaß. Gottfried ging damals ins Gymnasium, Anni in die Goetheschule, Rosi und Greti in die Volksschule. Die Angst, welche ich täglich ausgestanden hab, ist nicht zu beschreiben.

So kam das Jahr 1945, man sah schon das grausige Ende kommen, nämlich die Hungersnot. Anfang Mai war es so weit, bei uns marschierten zuerst die Russen ein...


Anmerkungen des Verfassers:

Februarkämpfe 1934:

Auslandssender:

Organisation Todt:

Hitlerjugend:

Bund Deutscher Mädel:

Bombenangriffe auf Steyregg:

Mühlviertler Menschenhatz:
Am Platz vor der Volksschule in Ried i.d.Riedmark findet sich ein Denkmal für die dort gesammelten Leichen der Mühlviertler Menschenhatz:

Mauthausen Memorial:


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