Sonntag, 21. Juni 2020

Episode 5 - Die erste große Liebe - Die frühen 1920er-Jahre (Teil 2)

"Er sagte immer und überall, er heiratet einmal sonst keine als mich..."


Pfarrhof Ried i.d.Riedmark (Foto: privat)


Nach zwei Jahren wechselte ich wegen unglücklicher Liebe den Posten. Ich war damals 17 Jahre, er auch. Er sagte immer und überall, er heiratet einmal sonst keine als mich. Da er aber der einzige Sohn war, und die Eltern von ihm ein kleines Anwesen hatten, und ich ja gar nichts hatte, so war dies von vornherein ausgeschlossen. Auch die Jugend, es war ja doch an eine Heirat überhaupt nicht zu denken. Er war bei dem selben Bauer wie ich im Dienst. Er erzählte aber allen, auch seinen Eltern, er will sonst kein Mädchen. 

Dies kam auch meinem Seelenführer zu Ohren, dies war jener Priester, welcher sich rührend um mich annahm. Der sagte mir: "Du mußt fort, dies bedeutet für dich eine große Gefahr, das heißt, für deine Seele." Hr. Präses sagte: "Hier im Pfarrhof ist Platz für dich, wenn du willst, kannst du in den Pfarrhof kommen."

Ich kündigte, ohne daß jemand wußte, warum. Wir trafen uns noch ein paarmal im Pfarrhof, sonntags nachmittags. Bald darauf wurde er krank, Blinddarmoperation. Er schrieb mir noch einen Brief. Als er das Krankenhaus verließ, hatte er eine Stunde von Lungitz bis Grünau zu gehen. Da bekam er so Durst, ging in ein Gasthaus, wo er vorbei ging. In ein paar Tagen war er tot.

So war ich zwei Jahre Stallmagd im Pfarrhof, die hatten ja eine große Landwirtschaft dabei. Ich verstand mich recht gut mit der Köchin, sagte halt oft, ich möchte Küchenmädchen werden. Vorher, ich weiß nicht mehr, ungefähr ein Jahr oder halbes Jahr, wurde unser Präses versetzt. Er war ja schon elf Jahre als zweiter Kooperator in Ried, nun wurde er um einen Rang höher eingestuft. Er kam nach Vöcklabruck. Mir tat es sehr leid, er sagte mir wieder: "Wenn du Rat oder Hilfe brauchst, so kannst du mir jederzeit schreiben." An guten Ratschlägen ließ er's nicht fehlen. 

Bald darauf konnte ich Küchenmädchen werden, da hatte ich riesengroße Freude. Doch die Freude dauerte nicht lange, wir bekamen einen jungen Kaplan, da stimmte vieles nicht. Er wollte seine Schwester hier im Pfarrhof haben. Ich erfuhr es zufällig, wollte ihm nicht im Wege stehn, sagte Herrn Pfarrer, ich möchte fort von hier. Der sagte mir prompt: "Ja, ich hab mir schon oft gedacht, es ist hier schade um dich, hier kannst du nichts lernen. Die Köchin kann auch nichts, du sollst kochen lernen." 

Die Köchin war ja, bevor sie Köchin wurde, hier Stallmagd gewesen. Sie hatte, wenn sie eine feinere Bäckerei, oder zu Weihnachten, es sich immer bei einer alten Frau machen lassen. Mir hat sie auch gar nichts gelernt. Es war damals so selbstverständlich, wollte man etwas lernen, so mußte man selbst zahlen. Da aber der Lohn für einen gewöhnlichen Dienstboten sehr niedrig war, so war an so etwas nicht zu denken. Ich hatte damals im Monat 20 S (Anmerkung: da der Schilling erst 1925 in Österreich eingeführt wurde, ist dies möglicherweise eine fehlerhafte Erinnerung). Freilich kann sich der Mensch von heute über diese Vergangenheit kein Bild machen. 

Man kann es Zufall oder Vorsehung nennen, beim Doktor in Ried kam das Dienstmädchen weg. Sie mußte nach Hause kommen, sie war eine Bäckerstochter. Der Kutscher, den ich gut kannte - der Doktor hatte nämlich Pferde, Autos gab es damals noch sehr wenige - fragte mich einmal, ob ich nicht zu ihnen kommen möchte. Ich sagte gleich zu, ich dachte, dies sei der Traum meines Lebens.

Herr Pfarrer war auch zufrieden über diese Wende. Ich hatte nie geahnt, daß ihm an dieser Sache so viel lag, wahrscheinlich, da ich keine Angehörigen hatte, außer meiner Großmutter. Frau Doktor fragte mich, was ich kann. Sie glaubte, da ich im Pfarrhof Küchenmädchen war, kann ich kochen, doch ich konnte gar nichts. Die Köchin lernte mir gar nichts. Frau Doktor war in dieser Beziehung sehr nett. Sie hat mich in allem gut unterwiesen. Zur Kochzeit ging sie in die Küche.

Es dauerte eine Zeit, bis ich selbständig kochen konnte. Auch dann konnte ich sie fragen. Es gab sehr viel Arbeit, zwei Töchter waren in Linz bei den Ursulinen, zwei Buben gingen noch in die Volksschule. Im Sommer waren zwei Schwestern vom Herrn Doktor aus Graz immer hier. Im Sommer kam ich vor neun, halb zehn Uhr abends nie aus der Küche. Sonntags wurde ich vor zwei, halb drei nie fertig, was mich sehr bedrückte. Ich fühlte mich so fremd, es gab keinen Familienanschluß. Mir gegenüber wurde nur von der Arbeit gesprochen, zu Frau Doktor mußte ich "gnädige Frau" sagen. Anfangs sagte ich "Frau Doktor" zu ihr, dann befahl sie mir, "gnädige Frau" zu sagen. 

Ich war halt beim Essen mit dem Kutscher zusammen. Holz tragen und Schuhe putzen mußte der Kutscher. Auch eine Ziege hatten wir, die mußte ich melken, die stand im Pferdestall. Natürlich wollte er bald eine Liebschaft anbahnen, er war aber um 20 Jahre älter als ich. So mußte er doch Vernunft annehmen, ich war sehr dagegen.

Ich schrieb wieder meinem Seelenführer, diese Ratschläge gaben mir wieder meinen Mut. Da ich Sodalin (Mitglied der Marianischen Kongregation, Anm.) war, hatte ich eine große Hilfe, die Präfektin war meine intimste Vertraute, der erzählte ich alles. Die war damals schon ein heiligmässiges Mädchen. Sie war die Tochter vom Schulleiter, den ich als Kind schon in der Schule hatte. Dort fand ich dann meine zweite Heimat. Es gab nichts, was ich ihr nicht sagte, wir waren ja schon, als ich im Pfarrhof war, sehr dick befreundet. Eine jede freie Stunde war ich beim Direktor, auch ihre Mutter war sehr gut zu mir. Diese Freundschaft dauert noch bis heute, ich verdanke ihr unendlich viel. Ich denke, den Wert einer guten Freundschaft kann man nicht hoch genug schätzen, das heißt, wenn der andere gewillt ist, es anzunehmen und zu akzeptieren. Für mich war es von unendlichem Wert.

So vergingen ein paar Jahre, ich lernte einige Burschen kennen...


Anmerkungen des Verfassers:

Ich habe in den Sterbebüchern der Gemeinde Ried i.d.Riedmark in den Jahren 1920 bis 1924 recherchiert, und konnte einen Burschen finden, auf den die Beschreibung meiner Oma passt: Es handelt sich wohl um den am 14. März 1922 verstorbenen, knapp 18-jährigen Florian Hofer aus Blindendorf 1.

Der arme Kerl ist laut Sterbebuch (siehe Link) wohl an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

RIP

Sterbebucheintrag:

https://data.matricula-online.eu/en/oesterreich/oberoesterreich/ried-in-der-riedmark/306%252F1922/?pg=5&fbclid=IwAR24H-w2pwOSdd45BiLt-6jwyS-ETwtLvdiSs1qpgHZUrQn73en9fxxZsu8



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